Hätte der Fahrradfahrer nicht auf seinen Vorrang gepocht

Das Mitverschulden des Fahrradfahrers - die rechtlichen Tücken für betroffene Fahrradfahrer

Pro Tag verunfallen fast 250 Fahrradfahrer in Deutschland. Eine besondere Gefahr stellen dabei Unfälle mit Kraftfahrzeugen da.
Denn der Fahrer eines PKW oder LKW hat im Gegensatz zu einem Fahrradfahrer nicht nur eine höhere
Geschwindigkeit, sondern auch eine schützende Knautschzone. Bei einem Zusammenstoß von Fahrrad- und Autofahrern befindet sich deshalb der Fahrradfahrer zumeist in der schlechteren Position. Und in vielen Fällen wird dem Fahrradfahrer dann
noch ein Mitverschulden vorgeworfen. Was Mitverschulden meint und inwieweit es sich auf die Schadensregulierung auswirkt, soll im Folgenden näher beleuchtet werden

Fahrradfahrer sind die schutzlosesten Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr und werden mangels
Knautschzone fast immer verletzt, nicht selten auch
schwer, mitsamt monatelanger Schmerzen und Einschränkungen in der eigenen Lebensführung.
Doch während der Schädiger die Abwicklung des
Fahrradunfalls seiner Kfz-Haftpflichtversicherung
übergeben kann, steht der einzelne, geschädigte
Fahrradfahrer mit einem erheblichen Wissensdefizit der gegnerischen Versicherung gegenüber und
möchte eigentlich eine Selbstverständlichkeit erreichen: Kompensation für die erlittenen Schmerzen
und Schäden.
Doch ob der Fahrradfahrer mit der Durchsetzung seiner Ansprüche erfolgreich ist, ist von seinem „Team“
abhängig. Denn sind wir ehrlich: Fahrradunfälle sind
anspruchsvoll und teilweise sehr aufwändig.
Zumeist gibt es durch rettende Ausweichbemühungen des Fahrradfahrers keine eindeutigen Kollisionsschäden, wodurch ein schwer aufklärbarer Unfallhergang vorliegen kann. In geschätzt 70% aller
Fahrradunfälle wird deshalb ein Mitverschulden
des geschädigten Fahrradfahrers eingewandt.
Hinzu kommt, dass der Fahrradfahrer fast immer verletzt wird, weshalb zusätzlich Schmerzensgeldansprüche ermittelt und durchgesetzt werden
müssen.
Damit sich der Fahrradfahrer gegen Kürzungen wehren und sein Schmerzensgeld überhaupt erst einmal
ermitteln und durchsetzen kann, ist der Gang zum
Anwalt der logisch erscheinende Schritt – denn bei
einem unverschuldeten Fahrradunfall muss der Gegner die Anwaltskosten tragen.
Doch die Tücken stecken im Detail: die Vergütung
eines Anwalts hängt vom Gegenstandswert, also der
Höhe aller durchgesetzten Schäden, ab. Je höher der
Schaden, desto höher die Vergütung. Der Fahrradsachschaden ist zumeist viel geringer als ein PKWSachschaden und die Durchsetzung von kleinen und mittleren Schmerzensgeldansprüchen kann kaum
aufwändiger und damit wirtschaftlich unattraktiver
für eine konventionelle Kanzlei sein.
Deshalb gibt es fast keine Kanzleien, die sich ausschließlich auf Fahrradunfälle mit den vielen, rechtlichen Besonderheiten spezialisiert haben – mit
teilweise dramatischen Folgen.
Ein Beispiel: Ein Mandant hat bei einem Fahrradunfall eine
Gelenkfraktur erlitten und einen regionalen Anwalt aufgesucht, der von der gegnerischen Versicherung dann ein
Angebot zur Abfindung aller Ansprüche über 500,00 € vorgelegt bekommen und ohne jede weitere Aufklärung die
Unterzeichnung empfohlen hat. Der zustehende Schmerzensgeldanspruch liegt tatsächlich bei rund 5.000,00 –
7.500,00 €. Zusätzlich waren Langzeit- und Dauerschäden
überhaupt nicht aufgeklärt.
Neben der häufig fehlenden Spezialisierung auf die
„tückischen“ Personenschäden ist auch das Kostenrisiko für geschädigte Fahrradfahrer bei konventionellen Kanzleien unterschätzt: denn wird nur ein Teil
des Schmerzensgeldes gezahlt oder ist in rechtlicher
Hinsicht ein Mitverschulden zu berücksichtigen,
bleibt der Fahrradfahrer auf Anwaltskosten in schnell
dreistelliger Höhe sitzen.

Was ist ein Mitverschulden?
Von Mitverschulden spricht man, wenn es zwar einen
Schädiger gibt, der Geschädigte jedoch auch einen
Anteil zur Schadenentstehung beigetragen hat.
Damit man von einem „echten“ Mitverschulden ausgehen kann, muss dieses Mitverschulden auch kausal
für den Schaden geworden sein.
Kausalität bedeutet hierbei, dass das Verstoßen gegen die eigenen Interessen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Schaden entfällt.
Wenn ein Fahrradfahrer zum Beispiel ein Fahrrad
fuhr, dessen Bremsen kaputt waren, wirkt sich das nicht auf einen Schaden aus, der dadurch entstanden ist, dass ihm jemand von hinten auffuhr. Selbst
wenn der Fahrradfahrer die besten Bremsen der
Welt gehabt hätte, wäre der Schaden durch das Auffahren entstanden. 

Was ist die Folge eines Mitverschuldens?
Bei der Schadenregulierung eines Sachschadens
führt das Mitverschulden dazu, dass der Unfallgegner nur noch einen Teil der Schäden ersetzen muss.
Ist der Autofahrer zu 70%, der Fahrradfahrer zu 30% am
Unfall schuld, so muss der Unfallverursacher dann nur 70 %
der Sachschäden ersetzen, auf den anderen 30 % bleibt
der Fahrradfahrer sitzen.
Die Quotelung orientiert sich dabei am Grad des
Verschuldens: Je schwerer der Fahrradfahrer seine eigenen Interessen verletzt hat, desto mehr des
Schadens muss er selber tragen. Dies hat vor allem
aber auch Folgen für Anwaltskosten: Denn nur wenn
den Fahrradfahrer kein Mitverschulden trifft, werden
die Anwaltskosten nach einem Unfall vollständig von
der Gegenseite getragen.
Bei Personenschäden wird zwar kein Mitverschulden
„eingequotelt“, jedoch kommt dem Verstoß gegen die
eigenen Interessen eine wesentliche Bedeutung für
die Frage zu, wann ein Schmerzensgeld „angemessen“ ist. In der Praxis wird das Mitverschulden – zu meist ohne es auszusprechen – ebenfalls identisch
auf das Schmerzensgeld angewendet.
In manchen Fällen wirkt sich das Mitverschulden des
Fahrradfahrers so schwer auf den Fahrradunfall aus,
dass es die Haftung eines anderen Verkehrsteilnehmers vollständig verdrängt.
Durch die Auswirkungen eines Mitverschuldens über
alle Schadenspositionen hinweg hat die Beurteilung
des Mitverschuldensanteils hohe praktische Relevanz. Gerade bei hohen Sach- und Personenschäden
ist es von Bedeutung, ob von einem Mitverschuldensanteil von 20% oder 50 % ausgegangen wird, da
hierdurch vier- bis fünfstellige Entschädigungsbetrage gekürzt werden können. 

Wann haben Fahrradfahrer eine Mitschuld am
Fahrradunfall?
Die StVO richtet sich an alle Verkehrsteilnehmer.
Dies bedeutet, dass auch bei der Verletzung der
StVO grundsätzlich ein Mitverschulden angenommen werden kann, soweit sich der Verstoß auf den
Fahrradunfall ausgewirkt hat. Dabei gibt es typische
Fahrradunfallkonstellationen, bei denen jedoch nicht
immer ein Mitverschulden anzunehmen ist

Befahren des Radweges in falscher Richtung
Grundsätzlich darf sich ein Fahrradfahrer, wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch, darauf verlassen,
dass seine Vorfahrtsrechte an Ein- und Ausfahrten
geachtet werden. Wenn er sich jedoch selbst verkehrswidrig verhält und den linken Radweg befährt,
wird eine Mithaftung angenommen. In manchen
Fällen wird das Verschulden des Fahrradfahrers so
hoch eingeschätzt, dass der Fahrradfahrer den Schaden sogar alleine zu tragen hat. Auch wenn es zu einem Fahrradunfall an einer Vorfahrtsstraße kommt,
kann dies zur Mithaftung führen. Der Fahrradfahrer
verliert zwar sein Vorfahrtsrecht nicht, wenn er in
die falsche Richtung des Radwegs fährt. Trotzdem
kann von einer vorwerfbaren Selbstgefährdung, also
einem Mitverschulden, ausgegangen werden. Hierdurch wird zumeist ein Mitverschulden von 1/3 des
Fahrradfahrers angenommen.

Überreaktion des Fahrradfahrers
Kann der Fahrradfahrer eine Kollision verhindern,
stürzt er jedoch infolge des Bremsvorgangs, wird
regelmäßig der Haftungseinwand erhoben, der Fahrradfahrer hätte überreagiert und sich damit selbstverschuldet verletzt.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch bereits vor einigen
Jahren entschieden, dass eine solche Überreaktion
dem Autofahrer zuzurechnen ist, selbst wenn diese
voreilig und damit objektiv nicht erforderlich war. Erforderlich für die Zurechnung ist lediglich, dass eine
„kritische Verkehrslage“ vorliegt, also konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass eine Gefahrensituation
unmittelbar bevorstehen kann. Die Gefahrensituation muss sich also noch nicht realisiert haben, damit
sogar ein voreiliges Ausweichmanöver des Fahrradfahrers zugerechnet werden kann.

Befahren eines Fußgängerüberwegs / Zebrastreifens
Wenn der Fahrradfahrer einen Fußgängerüberweg
fahrend überquert, trifft ihn ein gesteigerter Sorgfaltspflichtsverstoß, der zumeist zu einer Alleinhaftung führt. Der Schutz des § 26 Abs. 1 StVO gilt
grundsätzlich nicht für Fahrradfahrer, sondern nur
für Fußgänger.
In der Praxis kommt es bei Fahrradunfällen zumeist
zu Streitfragen, ob der wartende Autofahrer signalisiert hat, dass er auf sein Vorfahrtsrecht zugunsten
des Fahrradfahrers verzichtet oder ob er nur seiner
Pflicht, Fußgängern das Überqueren zu ermöglichen,
nachkommen wollte.
Hier kommt es regelmäßig zu Beweisproblemen,
wenn es „Aussage gegen Aussage“ steht und keine
Zeugen befragt werden können.
Ebenso streitig ist in dem Zusammenhang häufig,
ob der Fahrradfahrer verkehrswidrig fuhr, „rollerte“
oder schob und ob sich ein verkehrswidiges Befahren des Fußgängerüberwegs auf den Fahrradunfall
ausgewirkt hat.

Auffahren auf einen anderen Fahrradfahrer
Als allgemeine Regel des Straßenverkehrs gilt das
Abstandsgebot in § 4 StVO. Zum vorausfahrenden
Fahrradfahrer / Auto muss stets so viel Abstand gehalten werden, dass auch bei plötzlicher Bremsung
eine Kollision vermieden werden kann.
Umgekehrt darf der Vorausfahrende nicht ohne
zwingenden Grund stark bremsen.
Kommt es zu einem Auffahrunfall auf einem Radweg, so spricht fast immer die Beweisvermutung gegen
die Einhaltung des Abstandes und damit für eine
Haftung des Auffahrenden. Im motorisierten Straßenverkehr wird dann zumeist eine Haftungsquote von 70/30 gebildet, da von einem motorisierten
Fahrzeug eine höhere Gefahr, die „Betriebsgefahr“
ausgeht. Dies ist bei Fahrradfahrern nicht der Fall,
sodass hier regelmäßig von einer Alleinhaftung des
Auffahrenden auszugehen, wenn hier nicht nachgewiesen werden kann, dass ohne zwingenden Grund
gebremst worden ist. Hier sollte stets die polizeiliche
Ermittlungsakte eingehend geprüft werden, denn
häufig machen die Unfallbeteiligten vor Ort als Spontanäußerung Angaben zum Unfallhergang und den
eigenen Handlungsmotiven, die bei der Aufklärung
des Fahrradunfalls hilfreich sein können. 

Kollision mit öffnenden Autotüren („Dooring“)
Gem. § 14 StVO muss beim Ein- und Aussteigen eine
Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden. Öffnet ein Fahrzeuginsasse die Tür
plötzlich in den Verkehrsraum und ein Fahrradfahrer
kollidiert, so ist fast immer von einer Alleinhaftung
des Insassen auszugehen.
Rechtlich wird das Öffnen der Tür dem Betrieb des
Kfz zugerechnet, wodurch die gesetzlich vorgeschriebene Kfz-Haftpflichtversicherung eintrittspflichtig ist
und geschädigte Fahrradfahrer nicht nur auf eine
freiwillig abgeschlossene Privathaftpflichtversicherung des Mitfahrers hoffen müssen.

Keinen Helm getragen
Grundsätzlich wird kein Mitverschulden dadurch begründet, dass der Fahrradfahrer keinen Helm trug.
Obwohl es ein Handeln gegen die eigenen Interessen
darstellt, geht die Rechtsprechung nicht davon aus,
dass hier ein Mitverschulden angenommen werden
kann. Dies wird zumindest solange die Regel sein, bis
entweder eine gesetzliche Helmpflicht beschlossen
wurde oder es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass ein Helm getragen werden sollte. Dies sei jedoch
bisher noch nicht der Fall.

Sachverständiger Fahrradunfall

Unfallanalytiker klärt den Fahrradunfall auf

Neben dem erheblichen Verletzungsrisiko bei einem
Fahrradunfall können in der anschließenden Durchsetzung der eigenen Ansprüche erhebliche Nachteile
entstehen, wenn der Fahrradfahrer im Straßenverkehr
gegen seine eigenen Interessen verstößt und der Sachverhalt durch Zeugen nicht weiter aufgeklärt werden
kann.
Das Mitverschulden stellt dabei immer wieder einen
großen Streitpunkt dar, der erhebliche Auswirkungen
auf die Höhe der durchsetzbaren Schadenersatz- und
Schmerzensgeldansprüche haben kann. Eine tiefergehende Kenntnis der Rechtsprechung und eine intensive
Aufklärung des Sachverhalts sind deshalb unverzichtbar.
Geschädigte sollten sich hier nicht von pauschalen Haftungsablehnungen verunsichern lassen.

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